#Wandelnde Künstlerohren in Serie
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„Wandelnde Künstlerohren in Serie“
Es muss kurz vor den Weihnachtsferien 1984 gewesen sein, als mich mein Kunstlehrer fragte, ob ich mit ihm nach Amsterdam fahren wolle: Es gäbe dort eine Ausstellung, die ich so sicherlich nicht mehr zu sehen bekommen würde. Kurzentschlossen sagte ich zu. Heute weiß ich, dass er recht hatte. Und mehr noch, dass die Fahrt zum Stedelijk Museum zu einer Initiationsreise wurde, die mich auf einen Weg brachte, der unumkehrbar wurde.
Von dem Anlass der Ausstellung hatte ich sicherlich zuvor keine Ahnung: Es war die letzte Schau und damit die Schlussvorstellung, mit der sich der scheidende Direktor des Stedelijk Museums nach mehr als zwanzig Jahren aus seinem Amt verabschiedete. Dessen Namen, Edy de Wilde, hatte ich, als damals siebzehnjähriger Schüler, vermutlich nie zuvor gehört. Doch was sich als große Parade der Malerei dort vor meinen Augen auftat, habe ich bis heute nicht vergessen. Hier waren sie alle versammelt, die Heroen der Malerei aus gut vierzig Jahren: „Höhepunkte der Malerei seit 1940“ hieß die Ausstellung im Untertitel und zu Recht.
Unvergessen bis heute sind die drei Leinwände aus der Serie „Studies for Portrait of Van Gogh“ (1957) von Francis Bacon, eine Reihe von Paraphrasen Bacons nach dem im Zweiten Weltkrieg verbrannten Selbstbildnis van Goghs auf der Straße nach Tarascon. Das war die Brücke von der klassischen Moderne in die Nachkriegskunst. Und so ging es weiter: Die Werke von Barnett Newman, Marc Rothko, Sol LeWitt, Jan Dibbets und Brice Marden waren eingebunden und wurden präsentiert als logische Konsequenz aus der Malerei Bonnards, Légers, Beckmanns und Picassos. Und wie bei der großen Parade im Zirkus vor dem Ende der Vorstellung reihten sich die Artisten und ihre Werke zu einem überwältigenden Reigen.
Nicht perfekt und unvollendet
Dazu waren die Gemälde aller vertretenen Künstler – von Karel Appel bis Cy Twombly – in Werkgruppen vertreten, kein einziges Bild stand allein. So wie die Bilder eines jeden Künstlers im Dialog zu denen von Vorläufern, Zeitgenossen oder Nachfolgern gesetzt waren, so war jedes einzelne Meisterwerk als Teil einer Werkgruppe inszeniert: Georges Braque zerlegte den Billardtisch nicht einmal, sondern in drei Varianten aus den Jahren 1944, 1945 und 1949. Francis Bacon eignete sich die Tragik des einsamen Malers auf der Straße nach Tarascon nicht nur einmal an, sondern deklinierte sie in drei Fassungen, und Piet Mondrian war nicht nur mit einem der kühl und perfektionistisch wirkenden Werke aus der „Alten Welt“ vertreten, sondern auch mit den rhythmischen Varianten im Stil des „Broadway Boogie Woogie“ aus seinen letzten, New Yorker Jahren. Besonders das unvollendete und wunderbar unperfekte, mit Klebeband und Heftzwecken improvisierte und dadurch zögerlich tastend wirkende Bild „New York City 2“ (heute im San Francisco Museum of Modern Art) hat mich nachhaltig irritiert und fasziniert.
Ein Werk schien somit das andere zu erklären. Und ich fühlte mich in der Amsterdamer Ausstellung in etwa wie Joan Mirós „Kleine Blonde im Park der Attraktionen“ von 1950. Manche der damals ausgestellten Bilder habe ich seither nicht wiedergesehen (wie Bacons Van-Gogh-Zyklus). Die Ortsnamen aus Anselm Kiefers großem Deutschlandbild „Märkischer Sand“ las ich in Amsterdam, lange bevor ich selbst nach Oranienburg, Königs Wusterhausen oder Neuruppin reisen konnte.
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